Mut zu träumen? Das 1,3 Millionen-Trinkgeld

von | Jun 22, 2024 | Blog, Gestaltung, Steuerrecht | 0 Kommentare

Sind Juristen Träumer? Die meisten sicherlich nicht. Das heißt nicht, dass meine Profession nie dazu einladen kann. Überspitzt gesagt ist der Anwalt sogar in besonderem Maße zum Träumen aufgerufen! Ausgefallene Lösungen und mutige Gestaltungen brauchen freidenkende Köpfe, um ihren Weg in die Welt zu finden. Der Anwalt muss rechtsunkundige Beteiligte in die kleine Parallelwelt des Rechts mitnehmen und Rechtskundige von seiner eigenen Karte durch diese überzeugen!

In meinem letzten Artikel rang ich mit den Schwierigkeiten, vor die uns die Suche nach der Wahrheit ohne perfektes Wissen stellt und wie wichtig der richtige Spin in der Präsentation eines Falles sein kann. Die richtigen Worte resonieren mit ihrem Zuhörer und laden ein, mit dem Erzähler zum Ende zu folgen.

Zu viel Romantik? Vielleicht – sofern wir daraus eine Stilfrage machen. Manchmal bricht auch im Juristischen der blumige Hobby-Autor in mir heraus. Trotzdem bleibt ein wahrer Kern: Träumen braucht Kreativität und zumindest an Letzterem mangelt es einem guten Juristen in meinen Augen nicht. Mit welchen Worten wir dann das Resultat einer erfolgreichen Verteidigung oder Klage beschreiben, ist dann eigentlich Nebensache.

Mein heutiger Fall (FG Köln, Urteil v. 14.12.22, Az. 9 K 2814/20) möchte in diesem Geiste zeigen, wie ein Traumgebilde eines Juristen aussehen kann – und wie zumindest dieses Mal am Ende ohne größeren Schock alle aufwachen. Wenn „echte“ Menschen um reale Probleme streiten, sind aus der Realität gewonnene Wertungen der wichtigste Maßstab. Das wird unserem Kläger ebenfalls schmerzlich bewusst werden.

Nicht alle Träume haben einen hehren Ursprung. Wie das mit ihnen bezeichnete Phänomen erwachsen sie aus dem Mondänen. Wie nahezu alles in unserer modernen Welt beginnt und endet es mit dem Geld: Hier mit einem unerwarteten „Trinkgeld“.

1. Wie ein Trinkgeld für die Steuer bei Unternehmern aussieht

Unser heutiger Fall hat eine Menge Charaktere. Ich werde sie daher im Folgenden aufzeichnen:

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Ausnahmsweise habe ich mich an dem Bildmaterial für den Fall versucht! Ich höre, wie es Van Gogh et al. in den Knien zittert.
Legende: Die Prozentzahlen beziehen sich auf die Anzahl der Gesellschaftsanteile. Alle juristischen Personen sind rechteckig umrandet.

Der Kläger arbeitet als Prokurist für die Y GmbH, die von der Y Holding GmbH geführt wird. (Ja, auch eine GmbH und jede andere juristische Person kann Geschäftsführerin einer GmbH sein!) Die Y Holding GmbH gehört zu 26,6 % der Z Verwaltungs-GmbH. Passend zum Namen gehört diese vollständig einem Herrn Z, der vorher auch mal die Y GmbH geführt hat.

2016 veräußerte die Z Verwaltungs-GmbH 2,6 % der Anteile an der Y Holding GmbH. Der Kläger bekommt dank dieses freudigen Anlasses von der Z Verwaltungs-GmbH eine Zahlung von 100000 € zusammen mit einem begeisterten Brief. Z (also der einzig andere Mensch in der Geschichte) schrieb, dass er sich für die bisherige erfolgreiche Zeit in dieser „Zwischenstation“ mit dieser Zahlung bedanken wollte. „Ohne Gewähr“ endete er mit dem steuerlichen Ratschlag, es würden weder Lohnsteuer noch Sozialversicherungsabgaben anfallen. Er solle aber das Finanzamt über die Schenkung informieren.

Zum 01.01.17 verschmolzen Y GmbH und Y Holding GmbH. Jetzt gibt es nur noch die Y GmbH, an der die Z Verwaltungs GmbH nunmehr 21,4% Anteile hielt. Z hielt jetzt auch das Ruder bei der Y GmbH in der Hand.

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Der Kläger hat die für ihn inzwischen überflüssige Y Holding aus dem Spiel genommen und ist jetzt auch de iure Geschäftsführer der Y.

Juli 18 wollte die Z Verwaltungs GmbH nicht mehr. Sie trennte sich in zwei Tranchen zu einem stattlichen Betrag von ihren Anteilen. Z blieb der Y GmbH als Geschäftsführer erhalten. Auch dieses Mal hatte Z wieder nette Worte und einiges an Geld für den Kläger übrig. Als Dank für die gemeinsame erfolgreiche Zeit winkten diesmal 1,3 Millionen Euro.

Weder über die 100000 noch die 1,3 Millionen Euro gab es irgendwelche Abreden zwischen Y GmbH und Kläger. Jedoch erhielten auch andere Prokuristen im Umfeld von Z solche Zahlungen.

Eine Einkommensteuer-Erklärung gab der Kläger vorerst nicht ab. Allerdings meldete sich das für die Lohnsteuer zuständige Finanzamt (das Betriebsstätten-Finanzamt) mit einem eigenen Steuerbescheid am 17.09.19 zu Wort. Es setzte nachzuzahlende Lohnsteuer, Kirchensteuer und Soli fest, weil die insgesamt 1,4 Millionen Euro kein steuerbefreites Trinkgeld nach § 3 Nr. 51 EStG, sondern „normaler“ Arbeitslohn seien.

Eine Woche später bittet sein „reguläres“ Finanzamt den Kläger, seine Einkommensteuer-Erklärung abzugeben. Und genauso wie bei den Eltern, die einen als Kind darum bitten, sein Zimmer aufzuräumen (§ 1643 BGB), musst du es dann selbst bei reinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit1 auch machen (§ 149 I 2 AO). Der Kläger und seine Frau kamen dem auch nach. Mit den Worten des Betriebsstätten-Finanzamts im Ohr gaben sie in ihrer Steuererklärung am 17.10.19 die kompletten 1,4 Millionen Euro an. Zugleich fügten sie der Erklärung ein Schreiben bei, dass der Kläger diese als steuerfreies Trinkgeld verstehe. Das untermauerten sie auch nochmal dadurch, dass sie gegen die festgesetzte Lohnsteuer am selben Tag mit Einspruch vorgingen.

Das beklagte Finanzamt setzte im November 19 dann auch ESt, Kirchensteuer und Soli fest. Keiner der drei berücksichtigte das „Trinkgeld“. Das Finanzamt erklärte in seinem Bescheid hierzu, dass es die Nachfestsetzung des Betriebsstätten-Finanzamts für ausreichend halte.

Ein Jahr später kam dann doch noch ein das „Trinkgeld“ einbeziehender Steuerbescheid, der nach den Worten des beklagten FA „an die Stelle“ der früheren Lohnsteuer-Festsetzung treten solle. Trotzdem legte der Kläger am 28.10.20 gegen diesen neuen Bescheid Einspruch ein.

Die faszinierende technische Frage der Abgabenordnung, die hinter diesem Teil des Sachverhaltes steckt, lasse ich mal außen vor. Wir konzentrieren uns für unsere Zwecke allein auf den Angriffspunkt in der Sache der Klägerseite:

Natürlich handele es sich für sie bei den 1,4 Millionen Euro um Trinkgeld.

Am 16.11.20 wies das Finanzamt die Einsprüche alle zurück. Natürlich handele es sich bei den 1,4 Mio mitnichten um Trinkgeld.

Erstens habe der Kläger die Zahlung bloß anlässlich und nicht wegen einer Arbeitsleistung noch zusätzlich zu seinem Arbeitslohn bekommen. Ein Trinkgeld soll nämlich seinen Sinn hinhrhn eine zusätzliche Leistung an eine andere Person als den Arbeitgeber abgelten, die bei der Arbeit für den Arbeitgeber erbracht werde. Wir haben also eine Dreier-Konstellation: Der Arbeitnehmer bedient einen Dritten. Das macht er für den Arbeitgeber und leistet daher im rechtlichen Sinne an ihn. Allerdings muss er hierzu ja Dienste für den Dritten bekommen, der faktisch die Leistung empfängt. Das sei bei diesem Wirrwarr der Gesellschaften nicht gegegen.

Kurz: Der Kläger hat nur seinen Job gemacht und hat weder Z noch seine GmbH je vor den Augen dabei gehabt, sondern nur seinen Arbeitgeber.

Der Kläger arbeitet nämlich für die Y GmbH. Seine Arbeit kam der Z Verwaltungs-GmbH nicht direkt zugute. Die Wertsteigerung der Y Holding GmbH ist allenfalls beiläufig durch die Tätigkeit des Klägers eingetreten. Damit gab es schon keine „zielgerichtete“ Leistung des Klägers an die Z Verwaltungs-GmbH. (Anders als in dem abstrakten Beispiel, wo eine zielgerichtete Leistung an den Dritten geschah!)

Anschließend erinnert das Finanzamt daran, dass solche abenteuerlich hohen Zahlungen doch herzlich wenig mit dem zu tun haben, was der Normalo als Trinkgeld sieht. Und ich denke, da dürfte jeder zustimmen. Es gibt ein schwer beschreibliches Störgefühl bei dem Label „Trinkgeld“ und diesem sehr abstrakten Fall.

Das Finanzamt nährt sich dem mit „allgemeinen Sprachgebrauch“. Hier kommt der Knoten für die meisten Menschen her. Was sind die üblichen Bilder, die wir mit „Trinkgeld“ assoziieren? Ein paar Euro mehr für eine nette Bedienung, einen entspannten Friseur oder einen gebeutelten Lieferanten. Das Trinkgeld drückt eine Wertschätzung der Leistung in tendenziell schlechter bezahlten Berufen aus und soll den dort arbeitenden Menschen ein bisschen Geld nebenbei liefern. Um dem netten und kompetenten, aber leider meist schlecht bezahlten Angestellten zu helfen, steckt man ihm ein paar Euro mehr als den eigentlich geschuldeten Preis.

Trinkgeld setze daher vor allem eines voraus: Eine zumindest oberflächliche persönliche Beziehung zwischen Trinkgeldgeber und Trinkgeldempfänger, während der Trinkgeldempfänger eine Leistung an den Trinkgeldgeber erbringt. Das lässt sich bei dieser Konzernstruktur und dem sehr indirekten Wertzuwachs bei irgendwelchen Holdings2 im Hintergrund nicht vorstellen.

Ein zweiter Punkt, der vermutlich die meisten Leser bei dem Bild stutzig macht: Die Höhe. Das „Trinkgeld“ hat wohl 500% (!) des Bruttoarbeitslohns des Klägers ausgemacht. Unser Kläger verdient also 260000 brutto. Von einem bisschen Geld nebenbei kann man da ja wohl nicht mehr sprechen.

Den Kläger beeindruckte diese Lesart des Gesetzes wenig. Er erhob beim zuständigen Finanzgericht Klage.

2. Wie rechtfertigt der Kläger die Gestaltung seines Chefs vor Gericht?

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Foto von Jessie McCall auf Unsplash. Der „Kern“ des Falls und des Wortes liegt eher hier.

Der Kläger steht hier vor einer schweren Aufgabe. Ihm ist der Knoten bewusst, den die Finanzämter wie vermutlich die meisten Menschen bei seiner Lösung haben. Ihn zu überwinden scheint auf den ersten Blick unmöglich. Und hier schlägt mein eingangs herausgebrochener Hauch zur Romantik zu: An dieser Stelle muss der Anwalt es schaffen, das Publlikum über den Knoten in ihrem Kopf hinwegzuhelfen und mit zum „Traum“, dem Idealfall für den Kläger mitzunehmen.

Die Klägerseite bedient sich einem alten, aber effektiven Topos: Er pocht auf den technischen Aspekt von Gesetzen und gibt hiermit dem eigenen Ergebnis einen trügerischen Hauch der Unvermeidlichkeit. Der Gesetzgeber habe die frühere Wertgrenze fürs Trinkgeld nach einer Änderung des EStG bewusst aufgehoben. Damit hätte er gezeigt, dass die Höhe eines Trinkgelds für den Begriff keine Rolle (mehr) spiele. Zudem übernahm er die Trinkgeld-Definition des § 107 Gewerbeordnung, welcher ebenfalls keine Beschränkung auf „übliche“ Mengen beinhalte.

Im Übrigen nehme das FA ja einen vollkommen falschen Maßstab: Man dürfe nicht den Arbeitslohn mit dem „Trinkgeld“ vergleichen, sondern müsse das Trinkgeld mit dem erzielten Wertzuwachs vergleichen. Auf den käme es an, weil gerade dieser nach Z Verwaltungs-GmbH ja den Anlass für Dankbarkeit und damit für die Zahlung gegeben habe. Gemessen hieran seien die insgesamt gezahlten 1,4 Millionen Peanuts.

Im Übrigen sei die Z Verwaltungs-GmbH auch ein „Dritter“ im Sinne der Trinkgeld-Definiton in 3 Nr. 51 EStG. Die Z Verwaltungs-GmbH ist eine Person – eine juristische Person. Der Gesetzgeber nahm bewusst von einer Eingrenzung der Personengruppen Abstand, um den Begriff des Trinkgeldes weiter zu halten. Warum dann nicht auch bei dem Personenkreis liberaler sein?

Eine persönliche Beziehung gebe es ja auch. Die Z Verwaltungs-GmbH sehe schließlich die Wertzuwächse hauptsächlich in der Arbeit des Klägers, weil sie ja die Y, den rechtlichen Arbeitgeber des Klägers, beherrsche. Diese Leistung stehe in Gegenseitigkeit zur Zahlung.

Zudem geschah die Zahlung auch freiwillig. Das zeige sich vor allem daran, dass auch andere Prokuristen ähnliche, allein in der Höhe variierende Zahlungen erhalten hätten. Sprich: Jedes Mal entschloss sich die Z-Verwaltungs-GmbH neu und sah sich nicht in irgendeiner Pflicht.

Man erkennt die Botschaft der Klägerseite: „Es ist etwas weit geraten, aber so ist eben das Gesetz“. Mit einem Wechsel der Perspektive wirkt der Sprung vielleicht doch gar nicht mehr so groß, oder?

3. Träumt das FG auch mit?

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Dieses Mal ist der Kläger allein vor Gericht, wer das ähnliche Sprichwort mit dem Bild im Ohr haben sollte.

Nein.

Das FG stellt, nachdem es sich mit den ausgeklammerten Problemen aus der Abgabenordnung länger befasst hatte, im Wesentlichen mit den Gründen des Finanzamts darauf ab, dass die Zahlungen allesamt Arbeitslohn und damit zu 100% zu versteuern waren.

Obwohl das Geld nicht vom juristischen Arbeitgeber Y-GmbH kam, genügt es für einen Arbeitslohn auch, wenn eine Leistung des Arbeitnehmers für den Arbeitgeber abgegolten werden soll und ein Zusammenhang zum Arbeitsvertrag besteht. Diesen muss der Arbeitnehmer auch so wahrnehmen.

Zs liebevoller Brief hat diesen Zusammenhang sehr klar hergestellt, weil er sich explizit für die Wertsteigerung des juristischen Arbeitgebers des Klägers bedanken wollte. Der Kläger bezieht das Geld daher unmissverständlich auf seine Arbeit. Wir haben also Arbeitslohn, der übrigens auch von Dritten gezahlt werden kann.

Und nein, die 1,3 Millionen sind auch kein Trinkgeld.

Weil sich die Klägerseite explizit auf den BFH berief, machte sich das Finanzgericht die Mühe, einen kleinen Überblick über die Trinkgeld-Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu erstellen. Neben den Punkten, die schon das FA brachte, hob das Finanzgericht Köln explizit hervor: Eine Trinkgeldzahlung ist ein kleineres Geldgeschenk für eine Leistung an einen Dritten, die ein Arbeitnehmer „nebenbei“ auf seiner Arbeit für den Arbeitgeber erbringt. Nach Vorstellung des BFH ist ein Trinkgeld:

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Trinkgeld in kompliziert am Beispiel eines Restaurantversuchs. Die gelben Pfeile stehen für das fließende Geld.

Dass die Wertgrenze für Trinkgelder gestrichen wurde, ändert fürs FG nichts am ursprünglichen Kern des Begriffs: Ein eher kleiner Betrag für typischerweise schlechter bezahlte Berufe, mit dem der Empfänger einer Leistung seine Wertschätzung gegenüber dem konkreten Arbeitnehmer ausdrückt. Das Gericht störte sich besonders an dem exorbitant hohen Betrag. Der Gesetzgeber hat Trinkgelder nämlich eigentlich nur von der ESt befreit, um sich einerseits Verwaltungsaufwand zu sparen und andererseits Leuten mit wenig Geld nicht auch noch mehr Aufwand und Kosten aufzubürden. So eine Ausnahme sollte man eng auslegen, weil das Steuerrecht sich eigentlich auf die Fahnen schreibt, die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Person zu erfassen und sie dementsprechend zu besteuern.

Auch an der Leistung für die Z-Verwaltungs GmbH hatte das Gericht Zweifel. Überhaupt hatte der Kläger mit der Z Verwaltungs-GmbH in seiner regulären Prokuristen-Tätigkeit gar nichts zu tun. Sie hat daher auch keine Leistung von ihm bekommen, die sie hätte abgelten können. Der besondere Einsatz des Klägers galt allein seiner Arbeitgeberin. Die Gesellschaften hinter ihr haben von einer allgemeinen Folge guter Arbeit profitiert wie jeder andere Investor auch. Inwieweit überhaupt verschiedene Personen im Sinne der Norm vorlagen, ließ das Gericht daher offen.

4. Eigene Meinung: Interessanter, aber rechtlich zum Scheitern verurteilter Versuch zur Gestaltung!

Für eine Sekunde hätte man den Klägern geglaubt, nicht wahr? Aber irgendwo, wenn man die Argumentation der Kläger liest, scheint etwas schief zu sein. Der Versuch der Kläger, das als bizarr anmutende aber rechtlich einzig richtige Lösung zu verkaufen, klappte jedoch nicht.

Bei Fällen wie solchen fällt mir häufig ein, was man uns in der Ausbildung und Referendariat immer von Richter- und Professorenseite mitzugeben versuchte: Hören Sie auf Ihr juristisches Bauchgefühl! In vielen Fällen liegt dahinter eine bereits sehr der Wahrheit nahe Intuition. Fälle wie dieser sind wunderbar, um zu zeigen, wie sich ein solches Störgefühl ins „Juristische“ übersetzen lässt.

Zugleich scheint das wohl nicht jeder so zu sehen. Ein paar Kollegen, die sich dieses Urteil ebenfalls anschauten, hielten das Urteil für falsch. Schließlich sei mit dem Streichen des Höchstbetrages ja auch das Trinkgeld nicht mehr wertabhängig definiert worden. Man müsse wegen rechtsstaatlicher Prinzipien klar im Wortlaut bleiben. Also im Grunde dasselbe Framing der Kläger: Ja, fühlt sich komisch an, aber so muss das Gesetz sein. Überzeugend ist das im Hinblick auf den Begriffskern des Wortes „Trinkgeld“ aber nicht.

Auch wenn ich hier eher auf der Seite des Staats bin, muss ich meinen Hut vor dem schöpferischen Geist der Klägerseite ziehen! Sie haben nicht nur eine juristisch vertretbare Argumentation gefunden, sondern sie in ein übergeleitetes Narrativ packen können. Das haben sie auch bis zum bitteren Ende durchgezogen. Sofern der Kläger vorher um die Risiken wusste, ist an dieser Einladung zum Träumen nichts auszusetzen!

Man sieht: Nicht nur die anwaltliche Tätigkeit, sondern auch ihre Bewertung kann kompliziert sein. Ein talentierter Anwalt zeigt nicht nur Kreativität im juristischen Elfenbeinturm, sondern lässt auch sein erzählerisches Talent im zwischenmenschlichen Bereich spielen! Dieses Mal mag es nicht gelungen sein, ja. Aber wer weiß, wie es mit einem anderen Richter gewesen wäre? Ich habe es schon in meiner gerichtlichen Praxis erleben dürfen, dass eine gut geframtes Narrativ und kreative Argumente selbst über das ein oder andere eigene Störgefühl helfen konnten.

Ich würde mich freuen, mich auch bei Ihnen an einem solcher Wunder versuchen zu dürfen!

  1. Wer ausschließlich solche hat, ist nach §§ 26, 46 EStG und § 56 EStDV meistens davon erlöst, eine machen zu müssen. Ausnahme: Das Finanzamt fordert dich dazu auf. ↩︎
  2. Gesellschaften, die hauptsächlich Vermögen und Anteile an anderen Gesellschaften verwalten. ↩︎

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