Wir alle sind irgendwann einmal an einem Punkt, wo wir nicht mehr weiter wissen. Bis sich die meisten Menschen dieses Gefühl an einen Anwalt herantragen, muss – zumindest in meiner Zielgruppe – viel passieren. Meiner eigenen Erfahrung nach wird es gar als Eskalation in einer Beziehung empfunden, wenn der Anwalt auch nur als Konzept in eine Konversation tritt.
Dabei kann ein guter Rechtsanwalt allen Beteiligten viel Nerven, Zeit und Geld sparen. Auch wenn ich mich gern auch mit Streitigkeiten mitten aus dem Leben beschäftige, möchte ich den Wert eines guten Anwalts nicht nur generell, sondern gerade in einem von einer anderen Profession ebenfalls beackerten Feld beweisen: Der Steuerberatung.
Ein Lehrbeispiel für eine turbulente Steuerflucht gibt ein noch immer aktuelles Urteil des Bundesfinanzhofes vom 06.09.2023, Az. I R 35/20. Ich werde die Kernaussagen des Urteils beleuchten, grob in die rechtlichen Hintergründe einführen und zeigen, wo ein Anwalt einiges an Kummer gespart hätte.
Was ist passiert? Der steuerliche Weg in die Schweiz
Der Kläger, ein deutscher Staatsbürger, will vom Finanzamt (im Folgenden: FA) Geld zurück. Anno 2011 zog der Kläger in die Schweiz. Zu diesem Zeitpunkt hielt er 50% aller Anteile an einer deutschen GmbH, die auch nach seinem Ortswechsel dort verblieb. Das FA nahm dies im Jahr 2014 zum Anlass, gegen ihn einen Einkommensteuerbescheid zu erlassen. Warum?
Des Rätsels Lösung ist die sog. Wegzubesteuerung. Mit dem Auszug wird steuerrechtlich so getan, als wären die vom Kläger gehaltenen Anteile veräußert worden. Die Grundlage hierfür stellt § 17 EStG iVm § 6 Außensteuergesetz (AStG). Der Kläger war wenig erfreut hierüber und wies darauf hin, dass dies gegen das Freizügigkeitsabkommen zwischen Schweiz und EU verstoße; das FA zeigte sich wenig beeindruckt und blieb beim Bescheid.
Der Kläger legte Einspruch ein, konnte seine Steuer aber nur aus anderen Gründen mindern und nicht – wie mit seinem Verweis aufs Europarecht erhofft – komplett auslöschen. Im Grunde blieb es dabei, dass der Kläger eine gewaltige Steuernachzahlung zu tragen hatte.
Im Lichte seiner vermeintlichen Niederlage knickte er ein und zahlte. Einige Zeit später reute den Kläger sein Schnellschuss. Er forderte den gesamten eingezahlten Betrag vom FA zurück. Dieses war seinem Ansinnen noch genauso gesonnen wie beim letzten Versuch. Dieses Mal erhob der Kläger allerdings Klage auf Erstattung der zu viel gezahlten Steuer. In der Vorinstanz, also vor dem Finanzgericht, bekam er auch Recht.
Was trug der Kläger vor? Im Grunde das, was er schon zu Beginn gegen den ESt-Bescheid anführte: Die Besteuerung verstößt gegen Europarecht, namentlich das bereits erwähnte Freizügigkeitsabkommen. In diesem ist auch vorgesehen, dass unter den sogenannten sich Privatpersonen zwischen der EU und der Schweiz ungestört zu- und wegziehen sowie niederlassen können (Art. 15 Anh. I iVm Art 15 Freizügigkeitsabkommen Schweiz).
Durch die Besteuerung werden in seinen Augen negative Anreize geschaffen, diese auf dem Papier verbürgten Freiheiten auch tatsächlich auszuüben. Dem Grundgedanken nach ist unser Kläger in guter Gesellschaft: Der Europäische Gerichtshof entschied in der Sache Wächtler (EuGH, Urteil v. 26.02.2019 – Rs. C-581/17), dass am bloßen Wegzug einer Person anknüpfende Steuerpflichten gegen die auch für dei Schweiz verbürgte Freizügigkeit verstoßen. Denn eine solche Steuer macht es wirtschaftlich unattraktiv, von ebendieser Freiheit Gebrauch zu machen und beschränkt sie damit unzulässigerweise, weil bei Inländern anders verfahren wird.
Aber trifft das denn auf den Bescheid des FA im hiesigen Fall zu? Im Grunde ja. Im Detail ist die Besteuerung kompliziert zu erklären, daher bleibe ich im Folgenden bei den Grundideen, um die Stoßrichtung des klägerischen Angriffs zu illustrieren:
Das deutsche Steuerrecht kennt eine Menge Steuererleichtungen und -stundungen, welche es dem Steuerpflichtigen erlauben, Wertzuwächse von Gegenständen oder deren „wahren Wert“ über den in den bloßen Büchern stehenden Werten zu „verstecken“. Das nennt sich „Stille Reserven“.
Dazu gibt es Steuererleichterungen, die verhindern wollen, dass ein wirtschaftlich einer Person gehörendes Unternehmen mehr als einmal besteuert wird. Im hiesigen Fall behandelt das Recht zwar die GmbH und den Kläger rechtlich als zwei verschiedene Steuerpflichtige, aber wirtschaftlich gesprochen fließen die Werte des Unternehmens zu den Gesellschaftern und „gehören“ ihnen daher in einem weiteren Sinn. Die Idee ist recht einfach: Der Gesetzgeber möchte damit Leuten ermöglichen, risikofreier zu wirtschaften und nicht das Wachstum von Unternehmen durch eine übermäßige Besteuerung ersticken.
Diese Wertunterschiede werden dann der Idee nach aufgedeckt, wenn der Steuerpflichtige den Gegenstand zum „wahren“ Wert veräußert. Hier schlägt die Steuer dann in voller Höhe zu. Dem zweiten erwähnten Umstand (Das Unternehmen wird von einem eigenständigen Rechtssubjekt getragen und damit eigens besteuert, obwohl es wirtschaftlich nur einer Person gehört.) trägt der Gesetzgeber durch einen pauschalen Abschlag von 40% Rechnung, der an die prozentuale Steuerlast durch Körperschafts- und Gewerbesteuer angelehnt ist. Die müsste der Gesellschafter nämlich eigentlich zahlen, wenn er das Unternehmen selbst halten würde und hat das quasi „über die GmbH“ schon getan.
Der Staat hat daher seinen eigenen Steueranspruch gegen den Kläger ans Ende der Wertschöpfung (der Veräußerung des Unternehmens beziehungsweise des für den Erwerb genutzten Gegenstandes) gepackt, um einerseits die wirtschaftliche Betätigung nicht zu hemmen aber sich auch nicht den unter seinen Fittichen erwirtschafteten Gewinn durch die Lappen gehen zu lassen.
Die Rechnung geht natürlich nur auf, wenn der Steuerpflichtige auch in Deutschland bleibt. Wenn er wegzieht, ginge die Besteuerung am Ende der wirtschaftlichen Tätigkeit ins Leere. Daher stellt der Gesetzgeber häufig den Wegzug unter Ausschluss des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland der Veräußerung gleich: So unter Anderem, wenn ein Gesellschafter mit einer Beteiligung von x > 1 Prozent im Privatvermögen seinen Wohnsitz in die Schweiz verlegt (§ 17 EStG iVm § 6 AStG). Denn nur, wer seinen Wohnsitz in Deutschland hat, ist hier auch einkommensteuerpflichtig (§ 1 I EStG) und könnte von der Veräußerung der Gesellschaftsanteile profitieren.
Hier liegt auch der Unterschied zwischen Kläger und Inländer: Der Kläger muss mit seinem Umzug blechen, während Inländer bis zur tatsächlichen Veräußerung ihres Unternehmens warten können. Diese plötzliche Steuerlast macht es in seinen Augen madig, von der Freizügigkeit zur EU – Schweiz Gebrauch zu machen, weil die Last ja gerade beim versuchten Ausüben der Freizügigkeit anfällt. Das könne vom Freizügigkeitsabkommen nicht gewollt sein, weshalb die Steuererhebung unwirksam sein müsse.
So viel zu den Hintergründen. Streitentscheidend ist allein, wie sich diese Wegzugsbesteuerung zur Freizügigkeit verhält. Und was machte der BFH daraus?
Ist die Steuerflucht geglückt? Das sagt der BFH!
Der BFH gab dem FA Recht! Hierin jedoch einen Sieg des Staates auf ganzer Linie zu vermuten, wäre weit gefehlt. Die Begründung für das Ergebnis ist stark am konkreten Einzelfall festgemacht.
Zunächst einmal stellte das Gericht fest, dass die Normen, auf die der ESt-Bescheid gestützt wurde (§ 6 AStG iVm § 17 EStG) nicht nichtig oder unanwendbar seien. Vielmehr muss das FA in Fällen, wo aufgrund der Wegzugbesteuerung infolge eines Mitgliedstaates die Freiheit der Niederlassung und Freizügigkeit zwischen Schweiz und Deutschland anwendbar ist, den Steueranspruch dauerhaft und zinslos stunden – bis zur tatsächlichen Veräußerung des Unternehmens und das von Amts wegen, also ohne weiteren Antrag des Steuerpflichtigen. Der Kläger hatten also im Grundsatz die richtige Idee.
Der BFH stützt seine Lesart des Gesetzes auf eine genaue Lektüre der Causa „Wächtler“: Der EuGH forderte dort im Ergebnis bloß, dass ein Wegziehender nicht wirtschaftlich schlechter stehen darf als ein im Inland verbleibender Steuerpflichtiger. Daher kommen für ihn auch Stundungen von Steuerschulden im Grundsatz nicht infrage – zumindest, sofern dadurch Zinsen auflaufen können. Er stört sich jedoch nicht daran, dass beispielsweise Sicherheiten gefordert werden oder die Stundung bis zur Veräußerung des Unternehmens andauert. Denn das würde einem Inländer ja auch blühen. Freizügigkeit zu nutzen heißt nicht, besser als Inländer stehen zu müssen.
Das Finanzgericht und der Kläger sahen das Dilemma, aber keine Möglichkeit, das mit dem geltendem Recht ohne eine komplette Nichtanwendung der Besteuerung zu lösen. Weil das deutsche Recht keine dauerhafte, zinslose Stundung kenne aber die wirtschaftliche Belastung durch den bloßen Wegzug aufgrund des EuGH-Urteils verhindert werden müsse, bliebe als einzige Option, in solchen Fällen erst keine Steuerpflicht entstehen zu lassen. Der in Bezug genommene § 6 AStG kenne lediglich eine Ratenzahlung über sieben Jahre, welche dem Wegziehenden noch immer jedenfalls Liquidität raube und damit unzumutbar sei.
Der BFH erteilte dem eine Absage. Das Allgemeine Steuerrecht kennt eine allgemeine Stundungsvorschrift (§ 222 AO). Die könne man doch auch für dauerhafte und zinslose Stundungen nehmen. Der Wortlaut gibt es schließlich her.
Und wie ist das in Fällen, in denen schon ganz oder teilweise gezahlt wurde? Stundungen gehen auch für bereits gezahlte oder schon entrichtete Steuern möglich und sind daher zumindest kein pauschaler Einwand gegen die Lösung des BFH.
Warum wurde die Klage dann dennoch abgewiesen? Weil der Kläger auf eine der Sache nach bestehende Steuerschuld gezahlt hat und keine Stundung beantragte! Stundung heißt nicht, dass die Steuerschuld rechtlich nicht mehr existiert; sie kann nur nicht mehr vom FA gefordert werden. Dem Schuldner ist es natürlich weiterhin unbenommen, trotzdem zu zahlen. Und genau das tat unser Kläger ja.
Steuerflucht auch in leichter? Meine Meinung
Die Lösung des BFH schlägt einen praktisch schwer handhabbaren, aber theoretisch durchaus überzeugenden Mittelweg. Man kann ihn fast schon als salomonisch bezeichnen: Der Staat hat seinen Steueranspruch; er darf ihn nur dauerhaft und zinslos nicht einfordern – zumindest nicht, bis die betroffenen Gegenstände veräußert werden. In diesem Fall wären gegebenenfalls noch Doppelbesteuerungsabkommen oder Anrechnungsvorschriften zu bedenken. Das führt hier jedoch zu weit.
Der Technokrat in mir hat Freude an dem Urteil, weil der BFH auf sehr elegante Weise einen abstrakten Konflikt im Europarecht gelöst hat, der es schon seit seinen Kinderjahren begleitet hat. Die EU ist in einer ständigen Gradwanderung zwischen nationaler Identität und verbleibender Souveränität der Mitgliedstaaten (Art. 4 I, II und 5 EUV) einerseits und einem möglichst starken, praktisch effektiven Europarechts andererseits (Art. 4 III EUV). Der BFH fand eine für beide Seiten schonende und in ihrer Konzeption durchaus beeindruckende Lösung.
Leider ist damit nicht gesagt, dass sie praktisch leicht handzuhaben ist. Und da kommt meine Einleitung ins Spiel: Dieser Fall ist ein sehr schönes Lehrbeispiel dafür, warum eine gute Beratung im Vorfeld unglaublich wertvoll ist. Mir als Anwalt im Steuerrecht fielen beim Sachverhalt nämlich gleich mehrere Dinge auf, die eine Beratung im Vorfeld vermieden hätten:
- Warum hat der Kläger sich für eine GmbH für seine Zwecke entschieden? Es gäbe effizientere Mittel und Wege, die Wegzugbesteuerung des AStG dergestalt „auszutricksen“, dass die Anteile de iure nicht das Land verlassen würden und so das gesamte Debakel hätte umgangen werden können – auch und vor allem, wenn ein aktives Unternehmen hinter der GmbH steckt.
- Warum wurde gezahlt? Der Kläger ging anfangs gar nicht mehr gerichtlich gegen den Bescheid vor. Ich vermute daher, dass er einen Anwalt erst nach der Zahlung einschaltete. Der hatte jetzt die schwierige Aufgabe, aus dem Scherbenhaufen noch so viel zu retten wie möglich.
Unser Kläger und seine Vertretung mussten sich abstrampeln, um sämtliche eingetretenen Schäden noch auf das mit der Sachlage notwendige Minimum zu reduzieren. Das muss nicht sein! Wie schon meine Antwort auf die erste Frage von eben zeigt, hätte es zu diesem ganzen Fall mit der richtigen Gestaltung nicht kommen müssen.
Als Anwalt im Steuerrecht mit universitärem Schwerpunkt Gesellschaftsrecht sowie Berufserfahrung in Beratung und Gestaltung von Gesellschaften kann ich nicht nur einen steuerlich effizienten Weg aufzeigen, sondern bei der gemeinsamen Gestaltung des Vermögens mit Mandanten leichter individuellen Wünschen Rechnung tragen. Eine klare, ausgewogene und abgestimmte Gestaltung eines Unternehmens verhindert Konflikte, bevor sie überhaupt aufkommen können.
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- Für die Einkommensteuer kann der Steuertarif zwischen 22 und 45 Prozent schwanken. Lokale Steuern innerhalb der Kantone können die absolute Steuerlast erhöhen. ↩︎
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